Der Krieg im Jemen

Das Wort „Hunger“ klingt nicht so verheerend, bewirkt aber einen sehr grausamen, langsamen Tod. Hunger verursacht eine Reihe von Krankheiten, die häufig ein Leben lang bleiben. Bis zum Hungertod können Wochen oder sogar Monate vergehen. Der Proteinmangel löst häufig Infektionen und schwere Durchfälle aus. Der plötzliche Herztod oder sogar Koma können Folgeerscheinungen sein. Die Hirnleistung nimmt ab, und letztlich stirbt der Patient, wenn etwa die Hälfte der gesamten Körperproteine abgebaut sind. Im Jemen stirbt alle 10 Minuten ein Kind diesen schmerzhaften Tod.

 

Hungersnot im Jemen

Die größte Bedrohung im Jemen ist der Hunger. Mehr als dreiviertel aller Jemeniten sind auf Hilfe angewiesen. Etwa zweidrittel sind vom Hunger bedroht. „Es wird nicht wie die Hungersnot 2011 in Somalia sein, wo 250.000 Menschen ums Leben gekommen sind. Es wird die größte Hungersnot sein, die die Welt seit vielen Jahrzehnten gesehen hat – mit Millionen von Opfern.“, warnt der UN-Nothilfekoordinator Mark Lowcok im November in New York.[1] Die verhärteten Fronten, es gibt nicht nur zwei, und vor allem die Seeblockade durch Saudi-Arabien, Großbritannien, Frankreich und den USA (Operation: Restoring Hope) sind verantwortlich dafür, dass keine Flüchtlinge raus und Lebensmittel sowie Medikamente rein kommen. Bettina Lüscher vom Welternährungsprogramm sagt dazu: „Es ist tatsächlich die schlimmste Krise, die wir derzeit auf der Welt haben. Und es ist sehr schwer, damit umzugehen. Wir haben 8,4 Millionen Menschen, die komplett abhängig sind von Lebensmittelhilfen, viele unterernährte Kinder und mehr als eine Million unterernährte Schwangere und stillende Mütter.“[2]

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[1] https://www.zdf.de/nachrichten/heute/jemen-droht-hungerkatastrophe-100.html
[2] https://www.tagesschau.de/ausland/jemen-hunger-kinder-101.html

Bildquelle: USAID U.S. Agency for International Development

 

Die Blockade verursacht eine Hungersnot

Mit Beginn der Operation Restoring Hope im April 2015 begann man auch mit der furchtbaren See- und Luftblockade. Bereits vor dem Krieg war Jemen darauf angewiesen 90 Prozent der Lebensmittel zu importieren.[1] Dass eine Luft- und Seeblockade zu einer Katastrophe führen muss, war absehbar, denn auch Hilfslieferungen kommen nicht ins Land.
„Wir können diese Blockade nicht akzeptieren“, sagte UN-Sprecherin Alessandra Vellucci. Immer wieder fordern die Vereinten Nationen und internationale Hilfsorganisationen ein Ende der Luft- und Seeblockade in den Jemen, jedoch seit Jahren ohne Erfolg.
Der Seeweg und Luftraum Jemens wird von Saudi-Arabien vollständig kontrolliert. Sensible bereiche werden auch vermint. Allein zwischen 2014 und 2016 sollen im Jemen mehr als 1.500 Menschen durch Minenexplosionen getötet und weitere 3.000 verletzt worden sein. Es gibt kein Rein und kein Raus. Die Menschen sind gefangen, weshalb wir uns in Deutschland auch nicht über jemenitische Flüchtlinge beklagen können. Es ist gefährlich aus Jemen zu flüchten und genauso riskant den Jemen anzusteuern. Anfang 2017 griff die saudische Kriegskoalition mit einem Apache-Helicopter ein Boot mit somalischen Flüchtlingen an. Dabei starben mindestens 42 Menschen, darunter auch Frauen und Kinder.

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[1] Aktion gegen den Hunger, Jemen: Hafen von Hodeidah muss sofort wieder geöffnet werden!, https://www.aktiongegendenhunger.de/wir-in-aktion/hunger-krieg-jemen/hafen-von-hodeidah-muss-sofort-wieder-geoeffnet-werden

Bildquelle: Eugenio Castillo Perthttp://www.losbarcosdeeugenio.com/barcos/es/de/bm_F216.html, CC BY-SA 3.0

 

Epidemie als Kriegsfolge

Neben den Bombardements der Kriegskoalition unter Führung Saudi-Arabiens und den Vereinigten Arabischen Emiraten – leiden die Menschen vor allem unter der Cholera-Epidemie. Die Krankheiten haben unterschiedliche Ursachen. Hunger macht nicht nur hungrig, sondern auch krank. Hunger kann auf die körperliche und geistige Entwicklung eines Kindes Einfluss haben. Hungernde Menschen sind anfälliger für Infektionskrankheiten. Im Erwachsenenalter sind sie dann anfälliger für chronische Krankheiten. Der Jemen besteht also hauptsächlich aus Menschen, die anfälliger auf Krankheiten sind als normal, was durch das Fehlen von dringend benötigten Medikamenten verschlimmert wird. Hinzu kommen die schlechten, hygienischen Bedingungen, welche durch die Zerstörung von Infrastrukturen wie beispielsweise die Wasserversorgung deutlich verschlimmert wurden.
Nach Angaben des Roten Kreuzes ist in Jemen die größte bekannte Cholera-Epidemie der Geschichte ausgebrochen. Zumindest seit Epidemien dokumentiert werden. Im Jemen breitet sich mit der Diphtherie eine weitere lebensgefährliche Infektionskrankheit aus. Diese Krankheit ist ebenfalls behandelbar, wenn man Medikamente und medizinisches Personal zur Verfügung hätte, doch die Blockade verhindert das.
Bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen 1966 verabschiedeten die Mitglieder einstimmig den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte – ratifiziert von 164 Staaten. Nach Artikel 12.1 haben die Jemeniten das Recht auf höchstmögliche körperliche und geistige Gesundheit. Der Zustand im Jemen entspricht ganz und gar nicht diesem Versprechen, was 1976 offiziell in Kraft trat. Es entspricht einer anderen völkerrechtlichen Definition: die des Völkermords. „Unter Völkermord sind im vorliegenden Übereinkommen alle folgenden Handlungen zu verstehen, mit denen beabsichtigt wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören: (c) absichtliche Beeinflussung der Lebensbedingungen der Gruppe, die dazu bestimmt sind, ihre physische Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen“, Artikel 2 der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes.[1] Doch Saudi-Arabien kann sich auf die UN-Resolution 2216 berufen und legitimiert die Blockade als Überwachung des Waffenembargos.

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[1] UN Human Rights, Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide

Bildquelle: Anadolu Agency

 

Drohnenkrieg im Jemen

Der Jemen ist bereits seit 2002 Opfer von US-amerikanischen Drohnenangriffen. Ingesamt wurden auf den Jemen bereits mehr als 300 Angriffe geflogen mit weit über 1.000 Toten.[1] Daher zogen 2019 drei Jemeniten in Deutschland vor Gericht. Der Grund: Der Luftangriff erfolgte über den US-Militärstandort im rheinland-pfälzischen Ramstein. Die Klage wird unterstützt von zwei Menschenrechtsorganisationen: dem European Center for Constitutional and Human Rights und Reprieve.[2]

Kollateralschäden

Einen fairen Prozess bekamen die Opfer der Drohnenangriffe nie. Es gibt nur ein Todesurteil und das zieht in der Regel viele Unschuldige mit in den Tod. Beispielsweise Said Ali al-Shihri, stellvertretener Anführer von Al Qaida auf der Arabischen Halbinsel, sechs Jahre Guantanamo Bay, benötigte 4 Drohnen-Angriffe. Bei den Drohnenangriffen, die ihm gegolten haben, wurden insgesamt 57 Menschen getötet, hauptsächlich unschuldige Zivilisten. Gleiches passierte bei der Tötung von Fahd al-Quso, vier Angriffe, 48 Tote. Oder Anwar Al-Awlaki, vier Angriffe, 44 Tote.[3] Mit präzisen Bombardements hat das wenig zu tun. Eine Analyse der Menschenrechtsgruppe Reprieve kam bei einer Untersuchung von Drohnenangriffen auf das Ergebnis: für 41 Zielpersonen wurden 1.147 Menschen getötet. Das heißt also, dass 96 Prozent nur Kollateralschäden sind.[4] Die Auswahl der Zielpersonen ist häufig fraglich. So wurde Großmutter Bibi Mamana beim Gemüse pflücken getötet. „Niemand hat mir je gesagt, warum meine Mutter an diesem Tag Ziel des Angriffs wurde“, erklärte Rafiq ur Rehman, einer der Söhne von Bibi Mamana.[5]
Für einen Drohnenangriff soll angeblich sprechen, dass möglichst wenig Menschenleben eingesetzt wird, um eine Zielperson zu töten. Doch durch das Töten auf Distanz werden die Gewaltanwendungen zunehmend undifferenzierter und unverhältnismäßiger.[6] Der Soldat wird nicht mit dem Leid konfrontiert, sondern kann sich höchstens über sein unbequemes Sitzkissen in der Bodenkontrollstation beklagen.

Psychologische Folgen für die Zivilbevölkerung

Der Himmel bedeutet für die Jemeniten: Tod ohne Vorwarnung oder Begründung dieser Gewalt. Der Himmel wird als totbringend wahrgenommen. Es kann jederzeit passieren, Schutz gibt es davor nicht. Diese Angst hat psychologische Auswirkung, warnt das Kommisariat der Vereinten Nationen für Menschenrechte.[7] Das Auftreten posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) wird mit dem andauernden Drohnenkrieg im Jemen seit 2002 in Verbindung gebracht. Die Angst, getötet zu werden oder einen nahen Menschen durch einen Drohnenangriff zu verlieren, ist so intensiv, dass sie zu PTBS führen kann.[8] Laut der PTBS-Studie der IPPNW sind bei 72 von 100 erwachsenen Befragten im Jemen die Symtome für PTBS sichtbar, 27 haben wahrscheinlich PTBS und nur einer wies kaum Symtome auf. Die jemenitische Bevölkerung ist in einem konstanten Spannungszustand.

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[1] The Bureau of Investigative Journalism, Drone Strikes in Yemen
[2] Der Tagesspiegel, Bundesregierung lässt Urteil zu US-Drohnen prüfen
[3] The Guardian, 41 men targeted but 1,147 people killed
[4] ebd.
[5] Vgl. ippnw report, Humanitäre Folgen von Drohnen, Berlin 2019
[6] ebd.
[7] UN Human Rights, Human Rights Council holds panel on remotely piloted aircraft or armed drones in counterterrorism and military operations
[8] ebd.

Bildquelle: Khaled Abdullah